Monat: <span>Juli 2020</span>

Den Bericht einmal anders denken – Ein Plädoyer

Der Bericht an den Gutachter- Chance und Potenzial zur Reflexion und Therapieplanung

M. E. geht es nicht nur darum, den Antragsbericht als Bewilligungsakt so schnell es geht vom Schreibtisch zu bekommen, sondern auch darum, wie man die Aufforderung zur strukturierten Auseinandersetzung mit den Patienten für sich und die Therapieplanung sinnvoll als Chance nutzen kann.

Ich möchte sowohl durch meine Fortbildungsseminare (www.psy-dak.de) als auch anhand meines Handbuches Psychotherapieantrag hervorheben, dass es sich bei der Auseinandersetzung mit dem Antragsbericht um eine Chance handelt, um zu einem vertieften Verständnis des Patienten zu gelangen. Über den systematisch strukturierten und selbstreflektorischen Zugang, den der Antragsbericht von uns verlangt, entsteht ein geschärfter und erweiterter diagnostischer Zugang zum Patienten, der eine bessere Behandlungsplanung ermöglicht.

Dennoch ist mir aus meiner beruflichen Erfahrung auch vertraut, dass die positive Funktion der schriftlichen Fallreflexion im Rahmen der Antragsstellung oft durch individuelle Hürden und eine sehr lange Bearbeitungszeit sowie geringe Vergütung erschwert wird. So fühlen sich z. B. viele Therapeuten mit ihren Schwierigkeiten allein gelassen und von Kollegen, Dozenten oder Supervisoren belächelt, die anscheinend leichter und schneller Anträge schreiben können. Insgesamt ist das Thema »Schwierigkeiten im Berichteschreiben« stark schambesetzt. Viele benötigen einfach eine gezieltere Hilfe und eine gute Didaktik. Allerdings wird dies nicht nur in der (Antrags-)Literatur, sondern auch in der psychotherapeutischen Fort-, Aus- und Weiterbildung oft vernachlässigt. So ist m. E. zu begrüßen, dass inzwischen ein effizientes und didaktisiertes Berichteschreiben, so wie es im Rahmen meines Ansatzes leitfadengestützt vermittelt wird, bei immer mehr Ausbildungsinstituten zur Anwendung kommt.

Prof. Dr. Dipl.-Psych. Ingo Jungclaussen.

Hier geht’s zur Übersicht aller bisherigen Blog-Artikel zum Thema Gutachterverfahren und Psychodynamik

Wenn Sie regelmäßig über neue Blog-Artikel dieser Art (inkl. Fortbildungstermine) informiert werden möchten, dann tragen Sie sich hier in den kostenlosen Newsletter ein.

 

Keywords im Artikel:

 

  • Bericht an den Gutachter
  • Gutachterverfahren
  • Umwandlungsbericht
  • Erstbericht
  • Fortführungsbericht / Verlängerungsbericht
  • Fallreflexion
  • Fallkonzeption
  • Psychodynamik
  • Chance
  • Plädoyer

Wie wird man Gutachter und wie viele gibt es?

Aktuell gibt es für alle 3 Verfahren (TP, AP, VT) 566 Gutachter, 55 Gutachter für die Bearbeitung von Zweitgutachten (früher: Obergutachten). (Stand: 3.4.2020, Quelle KBV: https://www.kbv.de/html/gutachterverfahren.php

Diese Anzahl ist knapp um das Dreifache höher, gegenüber der Gutachterzahl vor der 2017er Reform. Ab 1. Januar 2018 wurden durch die Strukturreform der ambulanten Psychotherapie sehr viele neue Gutachter ernannt. Vor der Reform betrug die Anzahl der Gutachter z.B. für TP und AP knapp 100 Gutachter.

Die KBV stellt alle Kriterien und Daten auf ihren Seiten sehr transparent dar.

Um sich als Gutachter bewerben zu können, müssen folgende Kriterien erfüllt sein:

  • Approbation und Fachkunde als Grundqualifikation
  • fünfjährige Berufstätigkeit
  • fünfjährige und aktuell andauernde Dozenten- und Supervisorentätigkeit
  • dreijährige vertragsärztliche Tätigkeit
  • aktuell andauernde vertragsärztliche Tätigkeit

Übrigens: Seit 2018 gibt es jetzt auch erstmalig Gutachter, mit alleiniger Fachkunde in TP. Vorher wurden – wie sich sicher viele erinnern können- die TP-Anträge ausschließlich von psychoanalytischen Gutachtern begutachtet. Das hat sich inzwischen geändert. Der Umkehrschluss ist aber falsch: Anzunehmen, dass TP-Anträge nur von TP-Gutachtern begutachtet werden, ist falsch: TP-Anträge können auch weiterhin von analytischen Gutachtern begutachtet werden.

Das Bild oben zeigt eine ironisch zugespitzte Darstellung des Gutachters, der von vielen als der „böse“ Gutachter erlebt wird, da er über Bewilligung oder Nichtbewilligung der beantragen Therapie entscheidet. Dieses Zerrbild hat sich hoffentlich auch durch die Bemühungen der KBV, in Richtung mehr Interkollegialität und Transparenz verbessert.

Die genauen Statuten, wie und wann man sich als Psychotherapie-Gutachter bewerben kann finden Sie auf den Seiten der KBV unter „Psychotherapie“ > „Gutachterverfahren“

Die Anzahl wird sich nochmal um die systemischen Gutachter erhöhen, wenn die Systemische Psychotherapie ab dem 1.7.2020 zum Kassenverfahren wird.

Oder hier: https://www.kbv.de/html/26975.php

Prof. Dr. Dipl.-Psych. Ingo Jungclaussen.

 

Hier geht’s zur Übersicht aller bisherigen Blog-Artikel zum Thema Gutachterverfahren und Psychodynamik

Wenn Sie regelmäßig über neue Blog-Artikel dieser Art (inkl. Fortbildungstermine) informiert werden möchten, dann tragen Sie sich hier in den kostenlosen Newsletter ein.

 

Wie kam es zum Gutachterverfahren?

Psychotherapie auf Krankenschein – wie kam es eigentlich zum Gutachterverfahren?

Das deutsche Psychotherapiewesen und seine hohe Qualität sind in dieser Form einmalig. Es gibt zwar in anderen Ländern (z. B. in Österreich, der Schweiz oder Finnland) ebenfalls z. T. über das Solidarsystem finanzierte psychotherapeutische Versorgungssysteme. Aber dass das Solidarsystem über die Gesetzlichen Krankenkassen z. B. eine analytische Psychotherapie mit bis zu 300 Stunden zu festgelegten Honorarsätzen auch nicht ärztlichen, sondern psychologischen Psychotherapeuten finanziert, wie dies in Deutschland erfolgt, sucht weltweit seinesgleichen.

Wie kam es eigentlich zum Prüf-Instrument, dem Gutachterverfahren, welches diese besondere Situation sicherstellt und regelt?

Wenn Psychotherapie also im Sinne der Krankenkassen »etwas bringen« sollte, müssten psychisch kranke Patienten nach der Therapie für die Krankenkassen zumindest weniger Folgekosten verursachen als vor der Therapie. Anhand der bekannten Krankenhausaufenthaltsstudie von Annermarie Dührssen und Kollegen 1965 konnte nachgewiesen werden, dass die behandelten AOK-Patienten nach der Therapie durchschnittlich signifikant seltener ins Krankenhaus mussten als vor der Therapie. (Rüger 2007). Darüber hinaus konnte nachgewiesen werden, dass die behandelten Patienten nach der Therapie sogar nur halb so oft ins Krankenhaus mussten wie der gesunde »Otto Normalverbraucher« (ohne psychische Störungen und ohne Therapie).

Die Ergebnisse, der »Krankenhausaufenthaltsstudie«, welche repliziert werden konnten, hatten Pioniercharakter (Rüger 2007) und waren für die Krankenkassen letztlich so überzeugend, dass Psychotherapie zu einer kassenfinanzierten Regelleistung wurde. Nachdem die Krankenkassen von der Wirksamkeit, Wirtschaftlichkeit und dem Nutzen von ambulanter Psychotherapie also überzeugt waren, musste nun ein Prüfsystem konzipiert werden, das gegenüber den Krankenkassen sicherstellte, dass nur »echte« psychische Störungen von Krankheitswert nur so lange wie nötig (sprich Stundenbegrenzung) behandelt werden und nur wissenschaftlich anerkannte Therapiemethoden zum Einsatz kommen, deren Erfolg prognostisch günstig einzuschätzen ist. Dieses Prüfsystem, dass also nur notwendige, zweckmäßige und wirtschaftliche Therapien bezahlt werden sollten, war das Gutachterverfahren und existiert seit 1967. Das war die Voraussetzung, dass ambulante Psychotherapie in die Kassenversorgung eingeführt wurde.

Ein Kollege brachte dies einmal in meinem Seminar salopp auf den Punkt: »Okay, dann ist das Gutachterverfahren die Kröte, die wir schlucken müssen, um den weltweit einmaligen Luxus einer vom Gemeinwesen bezahlten Psychotherapie zu haben.«

Über die Zukunft des Gutachterverfahrens s. anderer Artikel.

Prof. Dr. Dipl.-Psych. Ingo Jungclaussen.

Hier geht’s zur Übersicht aller bisherigen Blog-Artikel zum Thema Gutachterverfahren und Psychodynamik

Wenn Sie regelmäßig über neue Blog-Artikel dieser Art (inkl. Fortbildungstermine) informiert werden möchten, dann tragen Sie sich hier in den kostenlosen Newsletter ein.

 

Links/ Buchtipps zur Vertiefung Thema Gutachterverfahren:

Jungclaussen (2018). Handbuch Psychotherapieantrag- Psychoanalytische Theorie und Ätiologie, PT-Richtlinie, Psychodynamik, Psychogenetische Konflikttabelle, Fallbeispiele. Stuttgart: Schattauer Verlag.

Hilfreiche Übersichts-Seite zum Bericht an den Gutachter von Dunja Voss (Links zu verwandten Themen, Erläuterungen, Literatur-Tipps uvm.) hier

Lieberz (2018): https://www.aerzteblatt.de/archiv/200269/Reformen-in-der-Psychotherapie-Quantitaet-statt-Qualitaet

Beutel. M. et al (2020). Psychodynamische Psychotherapie.

Ab. S. 102 f hier

http://www.sabineschaefer.com/fileadmin/user_upload/Artikel_S.Schaefer/PA_2-2010_GAV_Schaefer_ms.pdf

 

Weitere Büchertipps zum Thema Gutachterverfahren finden Sie auf meiner Literatur-Empfehlungsseite hier

Keywords im Artikel:

  • Gutachterverfahren
  • Bericht an den Gutachter
  • Psychotherapie
  • Krankenkassen
  • Qualitätssicherung