Wie kam es zum Gutachterverfahren?
Psychotherapie auf Krankenschein – wie kam es eigentlich zum Gutachterverfahren?
Das deutsche Psychotherapiewesen und seine hohe Qualität sind in dieser Form einmalig. Es gibt zwar in anderen Ländern (z. B. in Österreich, der Schweiz oder Finnland) ebenfalls z. T. über das Solidarsystem finanzierte psychotherapeutische Versorgungssysteme. Aber dass das Solidarsystem über die Gesetzlichen Krankenkassen z. B. eine analytische Psychotherapie mit bis zu 300 Stunden zu festgelegten Honorarsätzen auch nicht ärztlichen, sondern psychologischen Psychotherapeuten finanziert, wie dies in Deutschland erfolgt, sucht weltweit seinesgleichen.
Wie kam es eigentlich zum Prüf-Instrument, dem Gutachterverfahren, welches diese besondere Situation sicherstellt und regelt?
Wenn Psychotherapie also im Sinne der Krankenkassen »etwas bringen« sollte, müssten psychisch kranke Patienten nach der Therapie für die Krankenkassen zumindest weniger Folgekosten verursachen als vor der Therapie. Anhand der bekannten Krankenhausaufenthaltsstudie von Annermarie Dührssen und Kollegen 1965 konnte nachgewiesen werden, dass die behandelten AOK-Patienten nach der Therapie durchschnittlich signifikant seltener ins Krankenhaus mussten als vor der Therapie. (Rüger 2007). Darüber hinaus konnte nachgewiesen werden, dass die behandelten Patienten nach der Therapie sogar nur halb so oft ins Krankenhaus mussten wie der gesunde »Otto Normalverbraucher« (ohne psychische Störungen und ohne Therapie).
Die Ergebnisse, der »Krankenhausaufenthaltsstudie«, welche repliziert werden konnten, hatten Pioniercharakter (Rüger 2007) und waren für die Krankenkassen letztlich so überzeugend, dass Psychotherapie zu einer kassenfinanzierten Regelleistung wurde. Nachdem die Krankenkassen von der Wirksamkeit, Wirtschaftlichkeit und dem Nutzen von ambulanter Psychotherapie also überzeugt waren, musste nun ein Prüfsystem konzipiert werden, das gegenüber den Krankenkassen sicherstellte, dass nur »echte« psychische Störungen von Krankheitswert nur so lange wie nötig (sprich Stundenbegrenzung) behandelt werden und nur wissenschaftlich anerkannte Therapiemethoden zum Einsatz kommen, deren Erfolg prognostisch günstig einzuschätzen ist. Dieses Prüfsystem, dass also nur notwendige, zweckmäßige und wirtschaftliche Therapien bezahlt werden sollten, war das Gutachterverfahren und existiert seit 1967. Das war die Voraussetzung, dass ambulante Psychotherapie in die Kassenversorgung eingeführt wurde.
Ein Kollege brachte dies einmal in meinem Seminar salopp auf den Punkt: »Okay, dann ist das Gutachterverfahren die Kröte, die wir schlucken müssen, um den weltweit einmaligen Luxus einer vom Gemeinwesen bezahlten Psychotherapie zu haben.«
Über die Zukunft des Gutachterverfahrens s. anderer Artikel.
Dr. Dipl.-Psych. Ingo Jungclaussen.
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Links/ Buchtipps zur Vertiefung Thema Gutachterverfahren:
Hilfreiche Übersichts-Seite zum Bericht an den Gutachter von Dunja Voss (Links zu verwandten Themen, Erläuterungen, Literatur-Tipps uvm.) hier
Lieberz (2018): https://www.aerzteblatt.de/archiv/200269/Reformen-in-der-Psychotherapie-Quantitaet-statt-Qualitaet
Beutel. M. et al (2020). Psychodynamische Psychotherapie.
Ab. S. 102 f hier
http://www.sabineschaefer.com/fileadmin/user_upload/Artikel_S.Schaefer/PA_2-2010_GAV_Schaefer_ms.pdf
Weitere Büchertipps zum Thema Gutachterverfahren finden Sie auf meiner Literatur-Empfehlungsseite hier
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