Zur Zukunft des Gutachterverfahrens
Zur Zukunft des Gutachterverfahrens und zu neuen Formen der Qualitätssicherung (QS)
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Die künftige Abschaffung des Gutachterverfahrens:
Die Reform der Psychotherapieausbildung von 2019-20 beinhaltet auch tiefgreifende Konsequenzen für das Gutachterverfahren, welches seit über 50 Jahren in Deutschland der Beantragung der ambulanten Psychotherapie dient. Obwohl der Bericht an den Gutachter von vielen ungeliebt ist, stellt das Gutachterverfahren die weltweit einmalige Situation sicher, dass psychisch Erkrankte über das Solidarsystem -wenn es erforderlich ist, teils bis zu 300 Stunden – ambulante Psychotherapie erhalten können. Ferner sichert das Gutachterverfahren die sogenannte „Vorab-Wirtschaftlichkeitsprüfung“, d. h. mit Hilfe des bewilligten Berichts an den Gutachter wird vor Erbringen der therapeutischen Leistung hiermit der Nachweis erbracht, dass die danach folgende Psychotherapie wirtschaftlich sein wird. Ein Privileg, das es in dieser Form in keinem anderen Feld der Gesundheitsversorgung gibt.
Mit der Verabschiedung des Reform-Gesetzes (PsychThGAusbRefG) am 26.9.2019 (Bundestag) sowie am 8.11.2019 (Bundesrat) wurden zusätzlich zur Reform der Psychotherapie-Ausbildung diverse versorgungsrelevante Beschlüsse gefasst: Hierzu zählt, dass der Gesetzgeber den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) gebeten hat, bis zum 31. Dezember 2022 neue Formen der Qualitätssicherung (QS) zu entwickeln.
Wenn diese neuen Formen der QS vorliegen, soll das Gutachterverfahren abgeschafft werden. Das heißt, wenn alles so läuft wie beschlossen, wird es den Bericht an den Gutachter/das Gutachterverfahren für alle Therapieformen und Berichtsarten ab 2032 nicht mehr geben. Unklar ist aber die entscheidende Frage, ob die o.g. Vorab-Wirtschaftlichkeitsprüfung im Rahmen der neuen Formen der Qualitätssicherung erhalten bleibt oder ebenso weg fällt? Ein Wegfall könnte dazu führen, dass sich Psychotherapeuten bei möglichen Regressforderungen den Kassen gegenüber rechtfertigen müssen, wenn z. B. ihr Abrechnungsverhalten aus dem Raster der Durchschnittswerte fällt.
Der G-BA hat konkret das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitssystem (IQTIG) beauftragt neue Formen der Qualitätssicherung in der ambulanten Psychotherapie zu erarbeiten. Das neu zu entwickelne Modell soll datengestützt, sektorspezifisch und einrichtungsübergreifend sein und die Struktur- Prozess- und Ergebnisqualität der Psychotherapie erfassen. (§136a Abs 2a SGBV).
Seit November 2019 haben sich entsprechende Arbeitsgruppen formiert, die derzeit entsprechende Vorschläge erarbeiten.
Diese aktuell erarbeiteten Konzepte werden dann dem G-BA wiederrum vorgelegt. Dieser entscheidet dann im entsprechenden Unterausschuss darüber.
Seit Frühling 2020 wurden vom o.g. IQTIG-Institut bundesweit Psychotherapeuten aufgerufen, sich im Rahmen eines Vortests an der Erprobung eines neuen Fragebogens (QS) zu beteiligen.
Der Aufruf wurde über berufspolitische Kanäle verbreitet und findet sich im Original hier auf der Seite des IQTIG-Instituts: https://iqtig.org/dateien/datenerfassung/befragungen/2020-05-11-IQTIG_Aufruf_Standard-Pretest-Ambulante_PT.pdf
Siehe auch:
https://www.kbv.de/html/1150_46252.php
Die Befragung soll bis zum ersten Quartal 2021 erfolgen.
Den vollständigen Wegfall des Gutachterverfahrens und die zu erwartenden neuen Formen der Qualitätssicherung werden -auch wegen des möglichen Wegfalls der Vorab-Wirtschaftlichkeits-Prüfung- von großen Teilen der Psychotherapie mit Sorge gesehen.
Aber wie werden diese neuen QS-Formen aussehen? Nicht unwahrscheinlich sind Bögen, die psychometrische Daten der Patienten erfassen sollen, beispielsweise Symptomverlaufsbögen.
Die Frage inwieweit psychometrische Instrumente auf valide Weise Therapieerfolg und Therapieprozess erfassen, wird kontrovers diskutiert.
Auch die Akzeptanz solcher Instrumente ist unter den verschiedenen Psychotherapieverfahren unterschiedlich groß.
Wie kam es eigentlich zu dieser tiefgreifenden Änderung?
Die politischen Umstände, unter denen es zur Abschaffung des Gutachterverfahrens gekommen ist, wurden von berufspolitischer Seite kritisch diskutiert.
Es entstand der Eindruck, dass diese Abschaffung vom Gesetzgeber in einer „Nacht-und-Nebel-Aktion“ erfolgte. D.h. diese entscheidende Änderung zum Gutachterverfahren wurde wenige Tage vor Abstimmung des Gesetzes am 26.9.19 von der Koalition noch in den allerletzten Änderungsantrag der Regierungs-Koalition hineingeschrieben.
Es fand zu diesem Änderungspunkt, also der Abschaffung des Gutachterverfahrens- weder eine öffentliche Debatte noch eine Expertenanhörung im Bundestag statt. Dem Vernehmen nach wurden selbst die Bundestagsabgeordneten der anderen Fraktionen von diesem Änderungsantrag überrumpelt und konnten sich auf diesen Punkt teilweise nur 1 Tag vor der entscheidenden Ausschuss-Sitzungen vorbereiten. Die DGPT war der einzige therapeutische Verband, der wenige Tage vor Abstimmung über diesen Änderungspunkt zum Gutachterverfahren eine kritische Stellungnahme verfassen konnte, von denen nur sehr wenige erreicht wurden. Schließlich wurde das gesamte Gesetz (inkl. Abschaffung des Gutachterverfahrens) am Ende eines langen Plenar-Tages im Bundestag nach 23 Uhr mit den Stimmen der Regierungskoalitionsfraktionen und gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von FDP, Bündnis 90/Die Grünen und AfD angenommen.
Ging es bei dem Gesetzentwurf nicht ursprünglich um eine Verbesserung der Ausbildungs-Situation?
Ja. Das Reformgesetz hatte ursprünglich eine andere Zielrichtung gehabt; nämlich die Reform der Psychotherapieausbildung. D. h. es wurde mit der Abschaffung des Gutachterverfahrens etwas in ein Reformgesetz hineingeschrieben, was mit der eigentlichen Thematik und Zielsetzung des Reformgesetzes nichts zu tun hat. Solche Änderungen werden auch Omnibusgesetze oder Goldplating genannt: Man nutzt die Gunst der Stunde, dass gerade die Zeichen auf Änderung stehen, um noch etwas „hineinzuregeln“, was man sonst nicht hätte ändern können.
Zurück zum Gutachterverfahren/Bericht an den Gutachter:
Bis Ende 2022 wird das Gutachterverfahren weiter wie gehabt die Beantragung einer ambulanten Psychotherapie bestimmen.
Es ist ferner schon jetzt abzusehen, dass eine Umsetzung des neuen Gesetzesauftrages auf gesamter Ebene nicht ohne weiteres zu organisieren sein wird. Der Gesetzestext deutet an, dass die im Rahmen der Standarderhebung gewonnenen Daten aus den Behandlungen zur Messung von Behandlungsverläufen (vgl. QS) verwendet werden sollen.
Während dies aus technischer Hinsicht mit Blick auf die Praxisverwaltungssysteme keine große Hürde darzustellen scheint, ist jedoch in (berufs-) politischer und rechtlicher Hinsicht mit erheblichem Widerstand zu rechnen (Stichwort Datenschutzbedenken). Nicht auszuschließen ist ferner auch ein aktiver Widerstand seitens der Patienten/ der Bevölkerung. Die geplante Einführung der „gesteuerten Versorgung“ im Rahmen des TSVG hat einen hohen Protest ausgelöst, so dass das Gesetzesvorhaben zurückgezogen (und in anderer Form in das PsychThGAusbRefG eingebracht) wurde. Es ist nicht auszuschließen, dass eine hohe Anzahl an Patienten und Therapeuten einer Weitergabe von Daten aus ihren Behandlungen für QS widersprechen werden.
In der aktuellen fachwissenschaftlichen sowie berufspolitischen Reflexion des Reformgesetztes wird darüber hinaus empfohlen, dass in die Entwicklung der neuen Richtlinien gerade im Besonderen die Evaluations-Ergebnisse der Innovationsfonds-Forschungs-Projekte mit einfließen sollten.
Mit Blick auf diesen o.g. komplexer werdenden Hintergrund erscheint die Notwendigkeit umso größer, dem G-BA auch weitere Modelle der Qualitätssicherung (QS) anzubieten, die einerseits der QS-Anforderung gerecht werden, andererseits so gefasst sind, dass sie von Patienten und Leistungserbringern (Psychotherapeuten) auch adäquat in der Praxis angenommen werden.
Dem Begründungstext zum Gesetzesentwurf ist zu entnehmen, dass für die QS auch die bewährten Methoden von Intervision, Supervision und Qualitätszirkel berücksichtigt werden sollten.
Fazit: Es ist also vor dem Hintergrund der o.g. Ausführungen denkbar, dass die Umsetzung des neuen Gesetzesauftrages mit erheblichen Schwierigkeiten bzw. großen Anforderungen verbunden sein wird.
Unklar ist auch, wie sich die politischen und berufspolitischen Kräfte weiter formieren werden. Protest gegen diese Entscheidung wurde berufspolitisch formuliert und die gesetzliche Frist zur Umsetzung des neuen Modells sind recht eng gehalten.
D. h. die aktuelle Praxis des Gutachterverfahrens bleibt uns noch eine Weile erhalten, woraus nach wie vor für viele die Notwendigkeit für Fortbildung und Hilfen im Umgang mit dem Gutachterverfahren und dem Bericht an den Gutachter erwächst.
Nutzen Sie in jedem Falle die Kanäle Ihres Berufsverbandes, um sich sowohl über den weiteren Verlauf der Entwicklungen regelmäßig zu informieren, als auch um ihre eigenen Interesse zu kommunizieren. In der untenstehenden Link-Sammlung finden Sie entsprechende Artikel zum kostenlosen Download rund um die Reform der Richtlinien.
Dr. Dipl.-Psych. Ingo Jungclaussen.
www.psy-dak.de
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Artikel zur Reform der PT-Richtlinie 2019/2020 zum Download/ Link-Sammlung Report Psychologie:
- Jungclaussen, I., Hauten, L. & Jonas, M. (2020). ,Es entsteht ein Zwei-Klassen-System.‘ Tim-Can Werning zur Reform der Psychotherapieausbildung, Interview 3, Report Psychologie, 45 (9), 11-13. Download Hier
- Hauten, L. & Jungclaussen, I. (2020). Fluch oder Segen? Pro und Kontra zur Abschaffung des Gutachterverfahrens. Report Psychologie. 7. 26-29. Hier
- Jungclaussen, I., Jonas, M., Hauten, L. (2020). ,Berufspolitisch ist noch einiges zu tun’ – Inge Neiser und Dr. Johanna Thünker zur Reform der Psychotherapieausbildung. Interview, Report Psychologie. 6. 30-33. Hier
- Jungclaussen, I., Jonas, M., Hauten, L. (2020). ,Es gibt jetzt eine Chance’ – Dr. Cord Benecke zur Reform der Psychotherapieausbildung. Interview, Report Psychologie. 4. 28-30. Hier
- Jungclaussen, I. & Jonas, M. (2020). Das Direktstudium kommt – was nun? Die Folgen des Psychotherapieausbildungsreformgesetzes« waren Thema eines Symposiums für Studierende am 25. Januar 2020 in der Fachhochschule des Mittelstands (FHM) Köln. Symposiums-Bericht. Report Psychologie. 4. 26. Hier
Die Gesamtübersicht meiner Publikationen zu verwandten Themen dieser Art findet sich hier
Links/ Buchtipps zur Vertiefung Thema Gutachterverfahren im Allg.:
Hilfreiche Übersichts-Seite zum Bericht an den Gutachter von Dunja Voss (Links zu verwandten Themen, Erläuterungen, Literatur-Tipps uvm.) hier
Lieberz (2018): https://www.aerzteblatt.de/archiv/200269/Reformen-in-der-Psychotherapie-Quantitaet-statt-Qualitaet
Beutel. M. et al (2020). Psychodynamische Psychotherapie.
Ab. S. 102 f hier
http://www.sabineschaefer.com/fileadmin/user_upload/Artikel_S.Schaefer/PA_2-2010_GAV_Schaefer_ms.pdf
Weitere Büchertipps zum Thema Gutachterverfahren finden Sie auf meiner Literatur-Empfehlungsseite hier
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