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OPD-3- What’s new? (Mit Materialsammlung)

OPD-3 What’s new?: Ein Hauch mehr Unbewusstes weht durch die Konflikt-Achse
(von Ingo Jungclaussen)

Die Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik (OPD) hat nicht nur in der Praxis der psychodynamischen Psychotherapie einen festen Platz bekommen – auch in benachbarten Psychotherapieverfahren sowie im Coaching findet die OPD immer mehr Beachtung. Die neue Fassung, die OPD-3, wurde mit Spannung erwartet und enthält einige Veränderungen. Der folgende Beitrag wirft einen Blick auf die bekannte Konflikt-Achse.

Im Zentrum der OPD steht der Versuch, zentrale psychodynamische Konzepte wie Konflikt, Beziehung und Struktur beobachtungsnah und überprüfbar zu beschreiben. Hier wird ein wichtiger Beitrag gegen die Babylonische Sprachverwirrung und Schwammigkeit in den psychoanalytischen Begriffen geleistet. Kurzum: die OPD ist eine Bereicherung. Aber was gibt es Neues in der mit Spannung erwarteten 3. Fassung der OPD?

Hierfür möchte der folgende Beitrag einen Blick auf eine der wichtigsten Achsen der OPD werfen – und zwar auf die bekannte Konflikt-Achse:

Was gibt’s Neues in der Konflikt-Achse der OPD-3?

Die grundlegende Unterteilung in 7 beobachtungsnahe operationalisierte Konflikte bleibt bestehen, ebenso die Beschreibung eines aktiven und passiven Modus.

  1. Alles krankhaft, oder was? Neues Kontinuum bei den Konflikten:

Es ist zu begrüßen, dass in der neuen OPD-3 neben der krankhaften Entwicklung (z. B. ein  pathologisches Sich Unterwerfen oder Klein Machen) auch eine gelungene lebensgeschichtliche Entwicklung innerhalb der Konfliktthemen beschrieben wird. Diese neue Sicht ist positiv, da die Psychoanalyse traditionell oft mit einem eher defizitorientierten Menschenbild in Verbindung gebracht wird.

  1. „Sowohl-als-auch“ statt „Entweder-oder“: Konflikt-Schwere jetzt entlang des Strukturniveaus bestimmbar:

In der alten OPD war man noch der Auffassung, dass der Konfliktbegriff für ich-schwache Patient:innen mit geringerem Strukturniveau nicht so gut anwendbar sei. Hierdurch trennte man doch recht stark zwischen zwei Welten: und zwar zwischen überwiegend Konflikt-Patient:innen („klassischer Neurotiker“) auf der einen und überwiegend Struktur-Patient:innen („klassisch Borderline“) auf der anderen Seite. Das war eine zu schroffe Trennung, die jetzt aufgehoben wurde:

Eine wesentliche Neuerung der 3. Fassung der OPD stellt dar, dass die Konflikte bereits in der Konflikt-Achse (Achse III) mit dem Strukturniveau in Verbindung gebracht werden.  Neu ist also, dass Konfliktthemen jetzt in einer anderen Art in drei Stufen unterteilt werden, um sie besser fassbar zu machen:

  1. Konfliktspannung – leichte Spannung, gut integriert.
  2. Neurotischer Konflikt – klassischer innerer Konflikt, mäßig integriert.
  3. Konfliktschema – tief verwurzeltes Problem, gering integriert.

Diese Änderungen, dass der Konflikt-Schweregrad entlang des Strukturniveaus spezifiziert wird, ist als deutliche Verbesserung anzusehen, da hierdurch „Konflikt“ und „Struktur“ im klinisch-psychodynamischen Denken näher zusammengerückt werden. Ein Denken in „Sowohl-als-auch“ wird in der Praxis mehr betont, statt ein „Entweder-oder“. Diese Unterteilung hilft, Konflikte in der Therapie genauer zu verstehen und zu behandeln (mehr zum Thema „Zusammenhang zwischen Konflikt und Struktur“ findet man in diesem Blogbeitrag).

  1. „Bewusst oder unbewusst? Das ist hier die Frage!“ – Neueinführung des unbewussten Kernaffekts:

In der OPD-3 wurde der Kernaffekt als neues Konzept eingeführt. Im Gegensatz zum bewussten Leitaffekt der OPD ist der Kernaffekt ein unbewusster, tief verdrängter Gefühlszustand, der mit einem grundlegenden, frühen Konflikt aus der „Kinderstube“ verbunden ist. Dieser wird oft stark abgewehrt und ist daher in der Therapie schwer zu erkennen. Die OPD-3 beschreibt detailliert, wie diese Kernaffekte bei verschiedenen Konflikten und deren Bewältigungsstrategien eine Rolle spielen, was der Praxis der Diagnostik eine größere Tiefe verleiht.

  1. „Hier und Heute“ oder „Dort und Damals?“ – Neue Unterscheidung zwischen lebenslangem und aktuellem OPD-Konflikt

Ebenso neu ist die Unterscheidung zwischen einem „lebenslangen/biografischen“ und einem „aktuellen“ OPD-Konflikt. Unter diesem lebenslangen OPD-Konflikt werden zentrale motivationale Konflikte verstanden, die bereits ein Leben lang bestehen (z. B. ein lebenslang überdauernder Individuations-Abhängigkeits-Konflikt). Unter dem aktuellen OPD-Konflikt werden hingegen die derzeit im Leben aktuell vorherrschenden Konfliktmuster verstanden. Im Ratingbogen der OPD (entweder im OPD-Buch oder im Netz hier) kann dann auf der Konfliktseite zudem noch die jeweilige Bedeutsamkeit des aktuellen Hauptkonflikts angeben werden.

Ebenfalls wurde neu eingeführt, dass der Modus der Verarbeitung (aktiv/passiv) für die lebenslangen und für die aktuellen Konflikte einzeln beurteilt werden sollen. Dadurch werden in der Praxis Veränderungen im Lebensverlauf besser darstellbar, da nicht selten der Modus (passiv oder aktiv) bei einem Konflikt über die Jahre wechselt.

  1. „Tschüssikowski!“ – Aktualkonflikt gestrichen:

Unter dem Aktualkonflikt verstand man in der OPD-2 noch eine Art Realkonflikt, also bewusst beschreibbare Konfliktthemen der letzten Monate (z. B. ein schwerer Konflikt mit dem Chef). Der ist bewusst erlebbar und kann berichtet werden. Der Aktualkonflikt war aber nicht gleichzusetzen, mit dem aktuell wirksamen unbewussten Konflikt (ein Erklärvideo zum „AWUK“ findet sich hier), der wie der Name schon sagt unbewusst ist, also das ist, was man im Gutachterverfahren „die unbewusste aktuelle Konfliktdynamik“ nennt.) Der Aktualkonflikt ist also jetzt aufgrund dieser möglichen Missverständnisse gestrichen worden.

  1. „Vorhang auf für Stavros Mentzos“: Dilemma-Konzept nach Mentzos inspiriert das OPD-Konfliktverständnis:

Das traditionelle psychoanalytische Konfliktmodell ging davon aus, dass „echte“ Konflikte nur bei einer gewissen psychischen Reife entstehen, wie etwa bei einem inneren Kampf zwischen Autonomie und Abhängigkeit. Mentzos wirft dieses zu einseitige Denken zurecht über den Haufen und bringt das Dilemma-Konzept ins Spiel: Bei Menschen mit sehr niedrigem Strukturniveau, etwa auf psychotischem Niveau, gibt es nämlich oft keine klaren Konflikte, sondern eher unlösbare Dilemmas: zwei gegensätzliche, bedrohliche Optionen, zwischen denen sie gefangen sind. Ein Beispiel: Jemand schwankt zwischen extremer Nähe und absoluter Distanz zu einer anderen Person. Beide Möglichkeiten erscheinen ihm als unerträglich. Um diesem „Dilemma“ zu entkommen, kann die Person in den Wahn psychotisch abgleiten. Das Konzept hilft also, tiefere, komplexe menschliche Erfahrungen zu verstehen und gibt Therapeut:innen Werkzeuge, um Patient:innen zu unterstützen, diese Dilemmas zu erkennen und besser damit umzugehen – und zwar jenseits des üblichen „Konfliktlösens“. Die OPD öffnet sich nun für dieses Denken, so dass das Denken auch für die Praxis offener und flexibler werden kann. Das Kap. 4.4 der OPD-3 nimmt auf das Konzept nach Mentzos ausführlich Bezug.

Kurz-Fazit zur neuen OPD-3 Konflikt-Achse

Es wird in gewisser Hinsicht eine etwas neue Richtung eingeschlagen: Für die Konfliktachse (Achse III) wird in der OPD-3 ein neuer Fokus auf die größere Beachtung biografischer Entwicklungen und unbewusster Prozesse gerichtet. Es weht also ein Hauch mehr Unbewusstes durch die Konflikt-Achse.

Insgesamt sind diese und alle anderen Änderungen in der OPD-3 ambitioniert. Aufgrund der hierdurch höher gewordenen Komplexität, muss sich in der Praxis noch bewähren, ob die neuen Ideen und Akzente auch so angenommen werden.  Wenn man das beobachtungsgelenkte Konfliktdenken der OPD mit einem eher psychoanalytischen Konfliktkonzepten (s. Grundkonflikt) verbinden möchte, steht hierfür das Komplementäre Modell Psychodynamischer Konfliktdiagnostik (KMK-Modell) zur Verfügung (s. Link-Sammlung unten.)

Eine ausführliche Link-, Material- und Literatursammlung mit Praxisempfehlungen von Dr. Ingo Jungclaussen zur OPD findet sich hier unten:

  1. OPD-3: Vertiefungs- und Lesetipp:

Im Psychotherapeutenjournal (Ausgabe 3/2024) findet sich von Dr. Lars Hauten zusammen mit Ingo Jungclaussen ein ausführlicherer Fachartikel, in dem die Neuerungen der OPD-3 (für alle Achsen) ausführlich diskutiert wird.

Hauten, L. & Jungclaussen, I. (2024). Neuer Wein in neuen Schläuchen? Konzeptionelle und praxisbezogene Anmerkungen zur Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD-3). Psychotherapeutenjournal, 3/24. 269-277. Download hier oder hier

Weitere Artikel, die sich mit den Neuerungen der OPD-3 befassen sind:

  • Heuft et al. (2024). Update Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik – die Neuerungen in der OPD-3. Ärztliche Psychotherapie 19(3):140-145. Download hier (Stand 17.09.24).
  • Benecke, C. (2024). 30 Jahre Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik – Neuerungen in der OPD-3. Psychotherapeutenjournal Ausgabe 1/2024. Download hier (Stand 17.09.24).
  1. OPD-3: Vortrags-Reihe:
  • Kostenlose Plenum-Vorträge von Dr. Cord Benecke zu den Neuerungen der OPD-3 von den Lindauer Psychotherapiewochen 2024. Alle Vorträge kostenlos hier (Stand 17.09.24).
  • Vortrags-Reihe von Dr. Ingo Jungclaussen mit Dr. Lars Hauten zu den Neuerungen der OPD-3. Infos unter psy-dak.de/opd-3 (Stand 17.09.24)
  • Verfolgen Sie die Angebote einschlägiger psychotherapeutischer Fach-Verbände, welche auch regelmäßig Vertreter des OPD-Arbeitskreises zu OPD-Update-Vorträgen einladen.
  1. OPD: Besondere Praxis-Empfehlungen:

OPD-Konflikt-Fragebogen (OPD-Arbeitsgruppe) als Selbstauskunfts-Bogen für Patient:innen. (Arbeitskreis OPD/ Dr. Cord Benecke)

Kostenlose und immer aktualisierte OPD-Materialien und Rating-Bögen auf der offiziellen Seite der OPD: https://www.opd-online.net/opd-seminare/arbeitsmaterialien (Stand 17.09.24)

Fallbuch mit Lern-Videos zu den OPD-Konflikten vom OPD-Arbeitskreis: https://www.heidelbergerklinischestandards.de/info/opd (Stand 17.09.24)

Selbstlernkurs zu den OPD-Konflikten mit interaktiven Patient:innen-Videos unter www.elearning-tiefenpsychologie.de (Stand 17.09.24)

Exkurs Struktur: Den sehr hilfreichen und beliebten Patient:innen Fragebogen zur Selbstauskunft struktureller Fähigkeiten finden Sie hier https://strukturdiagnostik.de (Stand 17.09.24).

  1. Konflikt Vertiefungstipps: Komplementäres Modell PsychodynamischerKonfliktdiagnostik (KMK):

Übersichts-Fach-Artikel:

Jungclaussen, I. & Hauten, L. (2018). Psychodynamische Konfliktdiagnostik- Ein komplementäres Modell (KMK). Plädoyer für ein komplementäres

Verständnis von Beobachtungsnähe und psychogenetischer Rekonstruktion in der Konfliktdiagnostik. Psychotherapeutenjournal,17 (3). 225-234. Download: hier (Stand 17.09.24).

Videobeiträge

Jungclaussen, I. (2022). ‘Was ist was?‘ – Das Komplementäre Modell Psychodynamischer Konfliktdiagnostik (KMK)- Ein Beitrag zum Brückenschlag zwischen klassisch psychoanalytischer und beobachtungsgelenkter Konfliktdiagnostik nach OPD. Fortbildungszertifizierter Online-Vortrag auf Einladung der Deutschen Fachgesellschaft für tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (DFT) im Rahmen der Jahres-Ring-Vorlesung. 2.11.2022. Online-Vortrag mit ca. 650 Teilnehmer:innen. Vortrag online hier (Kurzvariante des Vortrags hier, Stand 17.09.24).

Blog-Artikel

Einen Blog-Artikel zum Thema KMK gibt es hier (Stand 17.09.24).

  1. Themenbezogene Fortbildungs-Tipps:

Unter www.psy-dak.de finden Sie fortbildungszertifzierte Online-Fortbildungen von Dr. Jungclaussen, welche auch auf die vorliegenden Inhalte (Psychodynamik, Konfliktdiagnostik, OPD und deren Diskussion etc.) ausführlich eingehen. Es können Fortbildungspunkte erworben werden. Beim Eintrag in den Newsletter unter www.psy-dak.de/newsletter werden Sie neben Fortbildungshinweisen auch über aktuelle Entwicklungen in der Psychodynamischen Psychotherapie qualifiziert kostenlos informiert.

  1. OPD-Quellen- und Literaturverzeichnis:

Arbeitskreis OPD (Hrsg.) (2023). Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik OPD-3. Manual für Diagnostik und Therapieplanung (3. Version). Bern: Huber.

Hauten, L. & Jungclaussen, I. (2024). Neuer Wein in neuen Schläuchen? Konzeptionelle und praxisbezogene Anmerkungen zur Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD-3). Psychotherapeutenjournal, 3/24. 269-277.

Benecke, C. & Möller, H. (2023). OPD-basierte Diagnostik und Intervention im Coaching. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Schauenburg, H., Jennissen, S., Cierpka, M. (2023). Heidelberger Standards zur psychodynamischen Diagnostik nach OPD-3. Handlungsanweisungen und videobasierte Fallbeispiele. HeiCuMed.

 

 

 

 

Ist strukturbezogenes Arbeiten in der TP erlaubt?

Ist strukturbezogenes Arbeiten in einer tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie “erlaubt”? Ja – so geht‘s richtig.

Bild: Die Struktur: Was uns stützt

 

Möglicherweise haben Sie während Ihrer beruflichen Zeit als Psychotherapeut*in schon einmal die Äußerung gehört: „Strukturbezogenes Arbeiten gehört nur in eine analytische Psychotherapie (AP), aber nicht in eine tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (TP)!“

Diese Information ist in dieser Allgemeinheit schlichtweg falsch.

Zunächst die gute Nachricht: Strukturbezogenes Arbeiten ist in der TP seit vielen Jahren zulässig. Auf die Einzelheiten und wie es dazu gekommen ist, gehen wir weiter unten ein.

Zuerst müssen wir die obige Falsch-Aussage verstehen, denn diese beruht auf einer Art Sprachverwirrung, auf einem Missverständnis. Zur Erklärung müssen wir etwas ausholen. (vgl. auch Teekesselchen-Problem im „Handbuch Psychotherapieantrag“, 2. Auflage (2018) S. 157, 189, 228)

Wir unterscheiden in der über 100-jährigen Geschichte der Psychoanalyse vor allem 2 Struktur-Begriffe:

  • Das jüngere Struktur-Verständnis der OPD-Struktur-Achse, bzw. Gerd Rudolfs („das Strukturniveau“) sowie
  • ein anderes Strukturverständnis, wie es im Begriff Neurosenstruktur/Charakterstruktur enthalten ist.

Zum besseren Verständnis dieser 2 Ebenen hilft die Unterscheidung zwischen einem dimensionalen und einem kategorialen Strukturbegriff:

Bei der dimensionalen Struktur-Perspektive betrachtet man graduelle Unterschiede auf der Dimension „Struktur“, d. h. eine Person kann viel, mittel oder wenig Struktur haben, also viel, mittel oder wenig strukturelle Ich-Fähigkeiten verfügbar haben. Dieses Verständnis folgt dem OPD-Strukturverständnis bzw. dem Verständnis nach Rudolf („Strukturniveau“).

Bei der kategorialen Struktur-Perspektive denken wir hingegen in Schubladen (Kategorien). Dies meint, dass es bestimmte Muster von Abwehrmechanismen, Beziehungsgestaltung und Ich-Funktionen gibt, die eine zusammenhänge Einheit (eine Art Schublade) bilden. Der Begriff Neurosenstruktur entspricht dieser Perspektive. So zeigt eine depressive Neurosenstruktur ein bestimmtes einheitliches Muster an Abwehrmechanismen und Erlebens-, Verarbeitungs- und Verhaltensmustern: Z.B. zeichnet sich die depressive Neurosenstruktur/Charakterstruktur durch altruistische Wunschabtretung, Wendung gegen das Selbst, einer Angst vor Zurückweisung und Liebesverlust aus, bei im Wesentlichen intakten Ich-Funktionen. In diesen Eigenheiten unterscheidet sich die „Schublade“  depressive Charakterstruktur z.B. von anderen „Schubladen“, z.B. von der zwanghaften Charakterstruktur.

Diese beiden Perspektiven meinen also je was anderes: Beim dimensionalen Strukturbegriff („Strukturniveau“) geht es um „viel“, „mittel“ oder „wenig“; beim kategorialen Strukturbegriff um zusammenhängende Einheiten im Sinne von Schubladen, z.B. festen Charakterstrukturen.

Eine übersichtsartige Zusammenstellung wie die unterschiedlichen psychoanalytischen Strukturbegriffe diesen 2 Begriffen zugeordnet werden können, finden Sie in meinem Handbuch auf S.  158.

Jetzt können wir vielleicht besser verstehen, wie die obige Aussage gemeint ist: Wenn wir von einem kategorialen Strukturbegriff ausgehen, also mit der Patient*in an ihrer festen Charakterstruktur arbeiten möchten, dann stimmt die obigen Aussage; denn eine tiefgreifende Veränderung der Persönlichkeit/des Charakters ist tatsächlich nur der AP vorbehalten.

Wenn wir jedoch stattdessen von einem dimensionalen Strukturbegriff ausgehen, z.B. bestimmte Bereiche der Struktur nach OPD fördern möchten (z.B. Affektregulation oder Selbstwahrnehmung), dann stimmt die obige Aussage wiederum nicht: Denn strukturbezogenes Arbeiten nach OPD bzw. nach Rudolf ist sehr wohl in der TP zulässig.

An dieses zuletzt genannte strukturbezogene Arbeiten in der TP sind jedoch wichtige Anforderungen geknüpft.

Diese sind:

  • Behandlungsplan Fokus: In der TP sollten Sie 1-2 Struktur-Foki auswählen (da 1-2 Foki mit dem Stundenumfang einer TP gut vereinbar sind)
  • Psychodynamik: Die krankheitsrelevanten strukturellen Defizite, sollten in der TP möglichst unter dem Druck eines aktuellen Auslösers entstehen, also aktuell wirksam sein.

Weitere wichtige Aspekte hierzu finden Sie in meinem Handbuch auf den Seiten 61 (Kap. 4.5.1).

Kommen wir zum Ende auf die Frage zu sprechen, seit wann strukturbezogenes Arbeiten in der TP eigentlich zulässig ist und welche entsprechenden Neuerungen es hierzu gibt?

Seit der Neufassung der Psychotherapie-Richtlinien 2009 gehören neben konfliktbedingten Störungen -damals neu – auch strukturelle Störungen zum Indikationsbereich der TP. Sechs Jahre vorher, machte der 6. Faber/Haarstrick-Kommentar bereits 2003 auf die Notwendigkeit strukturbezogenen Arbeitens in der TP aufmerksam. Seither gehören Hinweise zum strukturbezogenen Arbeiten in der TP zum festen Bestandteil des  Faber/Haarstrick Kommentars. Auch in der jüngsten 12. Ausgabe des Faber/Haarstrick Kommentars (2021) wird das strukturbezogene Arbeiten in der TP durch ein eigenes Kapitel präzisiert und somit weiter betont.

Hiernach zählt der Faber/Haarstrick folgende Interventionsmethoden zur Behandlung von strukturellen Störungen auch in der TP auf (Dieckmann et al., 2021, S. 39f):

  • Strukturbezogenes Arbeiten nach Rudolf
  • Mentalisierungsbasierte Psychotherapie nach Fonagy
  • Übertragungsfokussierte Psychotherapie nach Kernberg
  • Analytisch-interaktionelle Methode nach Heigl/Heigl-Evers

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Wenn Sie sich für den erst genannten Rudolfschen Ansatz interessieren, empfehle ich Ihnen die überarbeitete Neuauflage des Grundlagenbuches hierzu (unter Mitarbeit von Lars Hauten und Johannes Ehrenthal). Strukturbezogene Psychotherapie wird seit dieser Auflage mit dem Kürzel SP neu deklariert.

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Fassen wir zusammen:

Strukturbezogenes Arbeiten ist unter bestimmten Voraussetzungen in einer TP zulässig. Die eingangs erwähnte Behauptung, strukturbezogenes Arbeiten sei nur in einer analytischen Psychotherapie (AP) erlaubt, basiert auf einem Missverständnis, d. h. auf einem eigenen Verständnis von Struktur (dem kategorialen Verständnis).

Die Unterscheidung in kategoriale und dimensionale Strukturveränderung hilft wie deutlich wurde auch bei der Unterscheidung der Differenzialindikation TP und AP.

Vertiefungsmöglichkeiten zum Thema:

 

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So stark stiegen & fielen die Gutachten

So stark stiegen und fielen die Gutachtenaufträge (Wendepunkt Reform 2017)  

Die Zahl der Psychotherapie-Gutachten ist zwischen 2007 und 2016 um ca. 38% gestiegen.

Den größten Löwenanteil für diesen Anstieg stammt aus den erhöhten Zahlen der Verhaltenstherapie. Während in diesem Zeitraum die Gutachten für die analytisch begründeten Verfahren (TP/AP) nur um 12% gestiegen sind, stieg die Gutachten-Zahl in der Verhaltenstherapie um 69%.

Durchschnittlich wurden in diesem Zeitraum etwa 325.000 Gutachten pro Jahr bearbeitet. Die Anzahl der Gutachtenaufträge hängt mit der Anzahl der beantragten Psychotherapien zusammen, ist aber nicht mit dieser identisch, sondern sogar geringer. Denn zum 01.04.2017 gab es eine umfangreiche Strukturreform durch die u.a. Kurzzeittherapien und Fortführungen von Langzeittherapie generell nicht mehr gutachterpflichtig wurden. Die Krankenkassen können seither in diesen Fällen ohne Gutachten entscheiden. Die Zahl der Gutachten ist dadurch 2017 stark zurückgegangen. Bis dahin ist sie aber unter Einfluss der VT stark gestiegen.

Gehen Sie einmal auf diese Seite der KBV

https://gesundheitsdaten.kbv.de/cms/html/40646.php

und machen sich selbst ein Bild, indem Sie den Graphen individuell anklicken können. Das Bild unten zeigt den Anstieg der Gutachtenaufträge entlang aller Verfahren. Man sieht den Anstieg von 2007 bis 2017, der fast ausschließlich auf die VT zurückzuführen ist. Das Bild zeigt eindrucksvoll wie reformbedingt die Anzahl der Gutachten ab 2017 rapide nachgelassen hat, aufgrund der o.g. Punkte.

Abb. Quelle: KBV

 

Mit freundlichen Grüßen

Dr. phil. Dipl.-Psych. Ingo Jungclaussen.

 

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Das sind die größten inneren Hürden beim Berichteschreiben

 

Das sind die größten inneren Hürden beim Berichteschreiben

Neben den äußeren Problemen, die das Antragsschreiben mühsam machen (z. B. Zeitaufwand, geringe Vergütung, schwierige Orientierung in der Fülle der Theorien) gibt es viele innere Hürden.

Die inneren Widerstände kosten viel Energie. Mir ist es ein Anliegen, mit den in meiner Fortbildung befindlichen Hilfen Wege aufzuzeigen, wie der Bericht an den Gutachter, der Widerstand erzeugt, zu etwas wird, das als Ressource erlebt wird.

Was sind beim Schreiben des Berichts an den Gutachter im Gutachterverfahren die größten inneren Hürden?

(Die ausführliche Darstellung dieser Hürden finden Sie in meinem Handbuch Psychotherapieantrag im Buchteil A)

  • Widerstand gegen das Klassifizieren

Im Bericht an den Gutachter, z.B. im Umwandlungsbericht müssen wir an zahlreichen Stellen (wie Diagnose, Neurosenstruktur, unbewusster Konflikt) klassifizieren, also den Patienten in eine Schublade stecken, was Widerstände erzeugen kann.

  • Probleme mit dem Sich-Begrenzen

Eine der größten und zeitaufwendigsten Hürden beim Schreiben des Berichts an den Gutachter besteht im Verdichten und Zusammenfassen von Informationen.

  • Zuviel Empathie, zu wenig nötige Distanz

Vielleicht haben Sie es schon einmal vor oder während des Antragsschreibens erlebt, dass Sie zu nah an der Krankengeschichte des Patienten waren und ab einem bestimmten Punkt »den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr gesehen haben«. Achten Sie daher auf eine gedanklich-emotionale Distanz beim Antragsschreiben – gehen Sie einen Schritt zurück und gewinnen Sie Abstand.

  • Unterwerfungs- und Auflehnungskonflikte

Das Gutachterverfahren kann zur Projektionsfläche werden, auf der die Gutachter als Übertragungsfiguren (»Bösachter«; Sasse 2001) dienen, an die man eigene Über-Ich-Anteile delegieren kann. Man lehnt sich gegen sie auf, entwertet sie, unterwirft sich ihnen oder möchte sie durch besonders ausgearbeitete Texte beeindrucken. Aber wenn Sie innerlich für den Gutachter schreiben bzw. gegen den Gutachter anschreiben, ist dies eher schlecht, weil Sie dann nicht intrinsisch, sondern extrinsisch motiviert sind. Die unbewussten Unterwerfungs- und Auflehnungskonflikte zählen zu den häufigsten Ursachen für Schreibhemmungen und »Aufschieberitis« rund um den Bericht an den Gutachter.

 

  • Perfektionismus und Wahrheitsfindung

Das Verfassen von Antragsberichten treibt nicht selten zum Perfektionismus an. Es geht im Bericht an den Gutachter jedoch nicht um kognitive und literarische Glanzleistungen. Werfen Sie daher Ihren Perfektionsanspruch über Bord und sortieren und formulieren Sie diejenigen Informationen, die im Moment gültig sind. Jeder Bericht ist nur eine begründete Arbeitshypothese als Einstieg in eine therapeutische Beziehung.

Ein Seminarteilnehmer sagte einmal:

» Mir wurde durch die eigene Beschäftigung mit meinen inneren Reaktionen von früher deutlich, dass ich im Antragsschreiben bislang in einer Art Loyalitätskonflikt steckte. Ich meine damit, dass ich vorher immer das Gefühl hatte, mich in fremde Schuhe zu begeben, was ich nicht wollte. Ich bin neugierig geworden, jetzt innerlich mal ›Ja‹ zu sagen. Dieses Aha-Erlebnis ist für mich eine neue Chance, mich mit den Berichten neu auseinanderzusetzen. Das ist eine spannende Erfahrung. «

Dr. Dipl.-Psych. Ingo Jungclaussen.

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Keywords im Artikel:

  • Bericht an den Gutachter
  • Gutachterverfahren
  • Hürden, Probleme, Widerstände
  • Umwandlungsbericht
  • Erstbericht
  • Fortbildung
  • Ablehnung, Obergutachterverfahren

 

 

 

So lange brauchen Sie für den Bericht

So lange brauchen Psychotherapeuten für den Bericht an den Gutachter (Umfrage)

Was sind die größten Probleme beim Schreiben des Erst- oder Umwandlungsberichts?

Zur Erforschung der häufigsten Probleme rund um den Bericht an den Gutachter habe ich unter meinen »psy-dak«-Seminarteilnehmern vor einiger Zeit eine Befragung durchgeführt.*

Ausschnittartig seien folgende Ergebnisse genannt:

36,8 % der Befragten sind mit dem Arbeitsaufwand für den Antragsbericht (Bericht an den Gutachter) sehr unzufrieden, 47,1 % eher unzufrieden, während 15,5 % eher zufrieden und 0,6 % mit dem Arbeitsaufwand sehr zufrieden sind.

45,8 % sind der Meinung, dass das Antragschreiben in der psychotherapeutischen Ausbildung sehr vernachlässigt, 35,9 % eher vernachlässigt, 15,7 % eher nicht vernachlässigt und 2,6 % gar nicht vernachlässigt wurde.

Die teilnehmenden Psychotherapeuten benötigen im Durchschnitt 6 ½ Stunden für das Verfassen eines Erstantrages für Langzeittherapie und im Durchschnitt etwas mehr als 4 Stunden für das Verfassen eines Fortführungsberichtes, wobei die Streuung hier unter den Psychotherapeuten jeweils groß ist. (Hierbei muss einschränkend angemerkt werden, dass es sich zum Zeitpunkt der Befragung um den alten Antragsbericht vor der 2017er Reform gehandelt hat, der von der Länge/Gliederung noch etwas umfangreicher war)

Mit Blick auf die Gliederungspunkte des Psychotherapieantrages wurde danach gefragt, welcher der neun Punkte den Psychotherapeuten »am meisten Schwierigkeiten bereitet«.

Die Abb. unten zeigt, dass die teilnehmenden Psychotherapeuten, mit dem Gliederungspunkt Psychodynamik die meisten Schwierigkeiten haben. 84 % aller Nennungen entfielen auf den Punkt Psychodynamik. 27 % haben mit der Behandlungsplanung, 7 % mit der Darstellung der biografischen Entwicklung die meisten Schwierigkeiten und 16 % mit sonstigen Punkten (z. B. Konfliktdiagnostik, Verlaufsdarstellung bei Fortführungsanträgen, neurosenspezifische Diagnose und ICD-10-Diagnose).

Weitere Angaben hierzu können Sie meinem Handbuch Psychotherapieantrag entnehmen.

* An der nicht repräsentativen schriftlichen Befragung nahmen N = 165 Seminarbesucher teil zum Zeitpunkt vor der Strukturreform. Aus Zwecken der Übersichtlichkeit wird hier eine vereinfachte Darstellung gewählt. Die genauen Kennwerte und weiteren Angaben können aus meinem Handbuch Psychotherapieantrag entnommen werden.

Dr. Dipl.-Psych. Ingo Jungclaussen.

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Keywords im Artikel:

  • Bericht an den Gutachter
  • Gutachterverfahren
  • Umwandlungsbericht
  • Erstbericht
  • Fortführungsbericht / Verlängerungsbericht
  • Schreibarbeit
  • Psychodynamik
  • Biographie
  • Behandlungsplanung

Darum fällt Ihnen der Bericht so schwer (kl. Charakterkunde)

 

Das sind die Gründe warum Ihnen der Bericht an den Gutachter so schwer fällt.

 Kleine humorvoll gemeinte psychoanalytische Charakterkunde zum Berichteschreiben

Eine Vielzahl an Gründen erschweren eine einfache Abwicklung des Antragsschreibens, z. B. Arbeitsüberlastung, zeitliche Engpässe, Vernachlässigung des Antragsschreibens in der psychotherapeutischen Ausbildung, eigene theoretische Unsicherheiten, innere Widerstände, die eigene Persönlichkeit oder eine unübersichtliche und widersprüchliche Theorielandschaft.

Die folgende Auflistung enthält einige mögliche Formen innerer Widerstände und Konflikte, die das Verfassen des Berichts an den Gutachter erschweren können.

Vielleicht findet sich der ein oder andere in dieser eher humorvoll gemeinten Hypothesenauflistung wieder

Hypothesen zu inneren Widerständen und Konflikten beim Bericht an den Gutachter

Persönlichkeitsstruktur Mögliches inneres unbewusstes Erleben gegenüber dem Bericht an den Gutachter
Anal-zwanghafte Struktur »Ich mache etwas nicht, wenn es von mir verlangt wird! Ich unterwerfe mich dem System nicht.«

Oder anale Trennungsthematik (bei zu langen Berichten): »Ich kann mich so schlecht von meinen Gedanken und Überlegungen trennen und feile ewig an allem herum. Außerdem ist alles wichtig und muss rein.«

Oder anale Fixierung im magischen Denken: »Die Welt funktioniert magisch. Ich kenne keine Zeitbegrenzung und auch kein Ende wie in der realen Welt. Ich schiebe alles auf, weil ich in meiner magisch funktionierenden Welt unendlich viel Zeit habe.«

Narzisstische Thematik »Ist mir egal, was andere (z. B. der Gutachter) über meinen Patienten und meinen Therapieplan denken. Nur mein Tun zählt. Es ist in jedem Falle richtig. Ich brauche kein unqualifiziertes Urteil von so einem Gutachter.«

Oder: »Das, was ich von mir absende, muss so gut sein, dass es den Gutachter beeindruckt.

So brauche ich aber viel zu lange für alles.«

Scham-Thematik »In meinen Überlegungen gebe ich viel von mir preis. Ich zeige mich und kann es nach dem Abschicken nicht mehr rückgängig machen. Da ich das nicht will und kann, zögere ich alles ewig heraus oder brauche viel zu lange dafür.«
Hysterische Struktur »Wenn ich mit dem Antragsbericht anfange, wird irgendwann alles andere viel spannender. So fange ich immer tausend Sachen an und mache keine zu Ende.«

Oder hysterische Entgrenzungsthematik: »Ich halte mich an gar nichts, keine Zeiten, keine Regeln.«

Oder hysterische Entscheidungshemmung: »Ich kann mich nicht entscheiden. Ich sehe so viele Hypothesen und Gedanken. Alles ist so spannend und neu.«

Ödipale Thematik »Der Bericht an den Gutachter stellt einen Bericht an einen Dritten dar und somit eine triangulierende Begrenzung meiner eigenen unbewussten Fantasien von Omnipotenz, Zeitlosigkeit und harmonischer Übereinstimmung mit meinem Patienten. Ich erlebe das Gutachterverfahren unbewusst als bösartige Verfolgung, Kastration oder als ein Unterwerfungsritual und muss deswegen dagegen agieren« (nach Walz-Pawlita 2002).
Schizoide Thematik »Ich vergrabe mich tief in meine eigenen Überlegungen. Der Gutachter weiß, wie ich alles meine, und wird mich schon ›ohne Worte‹ verstehen und den Antrag bewilligen.«
Depressive Thematik »Ich kann doch nicht einfach so mit eigenen Intentionen auf den Gutachter zugehen und aktiv und lustvoll eigene theoretische und fachliche Schwerpunkte auswählen. Wenn ich das tue, werde ich zurückgewiesen, und der Antrag wird sicher abgelehnt. So gehe ich dem Antragsbericht besser gleich aus dem Weg.«

Oder: »Ich verleibe mir Ersatzobjekte ein und kaufe unzählige Fachbücher, aber lese sie nicht richtig. Trotzdem ist es gut, sie alle zu haben.«

 

Dr. Dipl.-Psych. Ingo Jungclaussen.

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Keywords im Artikel:

  • Bericht an den Gutachter
  • Gutachterverfahren
  • Umwandlungsbericht
  • Erstbericht
  • Fortführungsbericht / Verlängerungsbericht
  • Probleme
  • Widerstände
  • Charakterkunde
  • Humor

 

Ablehnungszahlen

 

So häufig wird der Bericht abgelehnt oder gekürzt?

Zu Beginn die gute Nachricht: Die Ablehnungsquoten sind von jeher gering. Seit kurzem* werden die Ablehnungszahlen sowie viele andere statistische Zahlen von der KBV sehr transparent öffentlich kommuniziert. Diese finden Sie hier: https://www.kbv.de/html/gutachterverfahren.php

Laut der jährlichen Gutachterstatistik der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) ist die Anzahl aller Gutachtenaufträge in der TP/AP für den Erwachsenen- und KJP-Bereich gegenüber den letzten Jahren stetig gesunken: Während 2017 noch insgesamt 120 409 und 2016 noch 171 373 Gutachtenaufträgen vergeben wurde, lag die Zahl aller begutachteten Fälle in dem Bereich 2018 nur noch bei 90 467. Der Rückgang hängt teilweise auch mit den Umstellungen im Rahmen der Strukturreform zusammen.

Die durchschnittliche Ablehnung des Berichts an den Gutachter betrug in den Jahren vor der Strukturreform immer um die 4 %. Diese Quote war bis auf minimale Schwankungen seit zig Jahren mehr oder weniger unverändert (auch für die VT).

Seit dem Wechsel in der KBV werden die Werte seit 2018 sehr detailliert für die verschiedenen Berichtsarten unterschiedlich aufgefächert. Wenn wir die Aufmerksamkeit auf den Umwandlungsbericht lenken, betrug 2018 die Ablehnungsquote sogar nur noch 2,27 %. Allerdings liegt die Quote der Kürzungen („Teilbefürwortungen“) bei ca. 7,5 %. Diese steigt dabei für den Erstantrag auf LZT auf 11,4 %, wobei Fortführungsanträge zu 13,62% gekürzt wurden.

Ablehnungsquote im Obergutachterverfahren

Das Obergutachterverfahren heißt nach der Strukturreform jetzt „Zweitgutachterverfahren“.

Von 2017 zu 2018 ist die Anzahl der Obergutachten/Zweitgutachten von 3010 auf 2079 Anträge gesunken (alle Verfahren).

Für die TP und AP zusammen betrugen die Ablehnungen im Obergutachterverfahren 2017 23,5 %.

2018 – bei einer erstmals differenzierteren Auffächerung- betrug die Ablehnung für die AP Erwachsene ca. 25% und für die TP Erwachsene ca. 16 Prozent.

Das heißt, dass mehr als 75% bzw. mehr als 85% aller Patienten-Fälle, die 2018 im Obergutachterverfahren entschieden werden mussten, anschließend ganz oder gekürzt bewilligt wurden.

Die Bewilligungsquote im Obergutachterverfahren ist dabei traditionell hoch, was mit der in der Regel vollständig überarbeiteten Fallkonzeption zusammenhängt.

Die Abb. zeigt alle Werte für das Jahr 2018 im Obergutachterverfahren/Zweitgutachten

Abb.: Quelle KBV

Diese o.g. und weitere Werte finden Sie hier:

https://www.kbv.de/media/sp/2019_12_11_PT_Gutachtenstatistik_2018.pdf

Auf dieser Seite können Sie selbst je nach Verfahren und Jahr die statistischen Zahlen sich zusammenklicken:

https://gesundheitsdaten.kbv.de/cms/html/40647.php

Dr. Dipl.-Psych. Ingo Jungclaussen.

(Alle Angaben ohne Gewähr)

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*= seit dem Wechsel innerhalb der KBV im Zuständigkeitsbereich Psychotherapie bzw. seit der Strukturreform 2017

 

Keywords im Artikel:

 

  • Bericht an den Gutachter
  • Gutachterverfahren
  • Obergutachterverfahren
  • Zweitgutachten
  • Ablehnung
  • Teilbefürwortung
  • Kürzung
  • Widerspruch
  • Gutachterstatistik
  • KBV
  • Kurzzeittherapie KZT
  • Umwandlungsbericht Langzeittherapie LZT
  • Erstbericht Langzeittherapie LZT
  • Fortführungsbericht / Verlängerungsbericht

 

Berichts-Supervision (Ghostwriting?)

 

Berichts-Supervision (Ghostwriting?)

In der alltäglichen Auseinandersetzung mit dem Gutachterverfahren suchen viele nach entsprechender Abhilfe im Umgang mit dem Bericht an den Gutachter.

Neben Büchern oder Fortbildungen, wie diese u.a. von mir angeboten werden, gibt es auch noch andere „Maßnahmen“.

In meinen Seminaren kommen immer wieder auch Kollegen, die – mal offen oder auch mal schambesetzt- davon berichten, dass Sie ihren Bericht an den Gutachter bislang von einem „Schreib-Büro“ als „Entwurf“ haben schreiben lassen oder kurz davorstehen, diese Art der Dienstleistung, die offiziell als „Berichts-Supervision“ kommuniziert wird, in Anspruch zu nehmen. Gründe hierfür können vielfältig sein: Sie reichen von zeitlicher und inhaltlicher Überforderung, über Strukturierungsprobleme bis hin zu offener Ablehnung des Gutachterverfahrens als Ganzes. Nicht selten wird das Schreiben des Berichts an den Gutachter aber auch in der Ausbildung nicht richtig vermittelt.

Ich möchte an dieser Stelle nicht auf die rechtlichen oder fachbezogenen Aspekte diesbezüglich eingehen.

Stattdessen möchte ich das Thema auf einer didaktischen Ebene betrachten und von meinen Fortbildungs-Erlebnissen berichten.

Meine Erfahrung als Seminarleiter und Supervisor oder Coach im Gutachterverfahren zeigt folgendes: Wenn man die Anforderungen an den Bericht an den Gutachter nur entsprechend  anders vermittelt und auf die Probleme individuell eingeht, trauen sich viele die Probleme haben, an eine aktive Auseinandersetzung mit dem Bericht an den Gutachter wieder mehr heran und erfahren positive Aha-Erlebnisse.

Auf die Art der Vermittlung kommt es also an, um das Potenzial des Berichts an den Gutachter für die eigene Selbstreflexion und Therapieplan wieder mehr auszuschöpfen.

Selbst „hartgesottene“ Gegner des Gutachterverfahren und des Berichts an den Gutachter konnte mit den Konzepten aus der Fortbildung erreicht und für die eigene Auseinandersetzung wieder neugierig gemacht werden, was mich dann sehr freut.

Stimme einer Seminarteilnehmerin nach dem Seminar:

„Ich war ein totaler Gegner des Gutachterverfahrens und des Berichts an den Gutachter. Ich wusste nie welche Sprache ich für den Gutachter schreiben sollte und habe meine Patienten in der analytischen Sprache nie wiedergefunden. Auch möchte ich mich als langjährig ausgebildete Therapeutin nicht für meine Behandlungen rechtfertigen müssen und hatte immer das Gefühl, mich in fremde Schuhe zu begeben, was ich nicht wollte. Ich bin nach ihrem Seminar neugierig geworden, jetzt innerlich mal „Ja“ zu sagen. Dieses Aha-Erlebnis ist für mich eine neue Chance sich mit den Berichten neu auseinanderzusetzen.”

Außerdem berichten einige Kollegen auch davon, dass fremd verfasste Berichts-Entwürfe nicht selten vom Therapeuten selbst nochmal langwierig bearbeitet werden müssen, weil man den eigenen Patienten nicht so wirklich wiedererkennt.

Das heißt, wenn man schon Zeit und auch Geld investiert, dann doch auf möglichst konstruktive Weise, so dass man selbst auf inhaltlicher Ebene etwas davon hat.

So möchte ich alle die ein bisschen auf der „Kippe stehen“, also mit „Berichts-Entwürfen“ ihre Bauchschmerzen haben, einladen sich einmal auf neue didaktische Hilfen in der Auseinandersetzung mit der Psychodynamischen Psychotherapie einzulassen, um hiervon ganz persönlich bzw. für die Therapie zu profitieren.

Probieren Sie es aus.

Dr. Dipl.-Psych. Ingo Jungclaussen.

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Keywords im Artikel:

  • Supervision
  • Software
  • Bericht an den Gutachter
  • Gutachterverfahren
  • Umwandlungsbericht
  • Erstbericht
  • Fortführungsbericht / Verlängerungsbericht
  • Ghostwritung
  • Berichtshilfe
  • Gutachtenhilfe
  • Gutachten-Hilfe

Zur Zukunft des Gutachterverfahrens

Zur Zukunft des Gutachterverfahrens und zu neuen Formen der Qualitätssicherung (QS) 

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Die künftige Abschaffung des Gutachterverfahrens:

Die Reform der Psychotherapieausbildung von 2019-20 beinhaltet auch tiefgreifende Konsequenzen für das Gutachterverfahren, welches seit über 50 Jahren in Deutschland der Beantragung der ambulanten Psychotherapie dient. Obwohl der Bericht an den Gutachter von vielen ungeliebt ist, stellt das Gutachterverfahren die weltweit einmalige Situation sicher, dass psychisch Erkrankte über das Solidarsystem -wenn es erforderlich ist, teils bis zu 300 Stunden – ambulante Psychotherapie erhalten können. Ferner sichert das Gutachterverfahren die sogenannte „Vorab-Wirtschaftlichkeitsprüfung“, d. h. mit Hilfe des bewilligten Berichts an den Gutachter wird vor Erbringen der therapeutischen Leistung hiermit der Nachweis erbracht, dass die danach folgende Psychotherapie wirtschaftlich sein wird. Ein Privileg, das es in dieser Form in keinem anderen Feld der Gesundheitsversorgung gibt.

 

Mit der Verabschiedung des Reform-Gesetzes (PsychThGAusbRefG) am 26.9.2019 (Bundestag) sowie am 8.11.2019 (Bundesrat) wurden zusätzlich zur Reform der Psychotherapie-Ausbildung diverse versorgungsrelevante Beschlüsse gefasst: Hierzu zählt, dass der Gesetzgeber  den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) gebeten hat, bis zum 31. Dezember 2022 neue Formen der Qualitätssicherung (QS) zu entwickeln.

 

Wenn diese neuen Formen der QS vorliegen, soll das Gutachterverfahren abgeschafft werden. Das heißt, wenn alles so läuft wie beschlossen, wird es den Bericht an den Gutachter/das Gutachterverfahren für alle Therapieformen und Berichtsarten ab 2032 nicht mehr geben. Unklar ist aber die entscheidende Frage, ob die o.g. Vorab-Wirtschaftlichkeitsprüfung im Rahmen der neuen Formen der Qualitätssicherung erhalten bleibt oder ebenso weg fällt? Ein Wegfall könnte dazu führen, dass sich Psychotherapeuten bei möglichen Regressforderungen den Kassen gegenüber rechtfertigen müssen, wenn z. B. ihr Abrechnungsverhalten aus dem Raster der Durchschnittswerte fällt.

 

Der G-BA hat konkret das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitssystem (IQTIG) beauftragt neue Formen der Qualitätssicherung in der ambulanten Psychotherapie zu erarbeiten. Das neu zu entwickelne Modell soll datengestützt, sektorspezifisch und einrichtungsübergreifend sein und die Struktur- Prozess- und Ergebnisqualität der Psychotherapie erfassen. (§136a Abs 2a SGBV).

 

Seit November 2019 haben sich entsprechende Arbeitsgruppen formiert, die derzeit entsprechende Vorschläge erarbeiten.

Diese aktuell erarbeiteten Konzepte werden dann dem G-BA wiederrum vorgelegt. Dieser entscheidet dann im entsprechenden Unterausschuss darüber.

Seit Frühling 2020 wurden vom o.g. IQTIG-Institut bundesweit Psychotherapeuten aufgerufen, sich im Rahmen eines Vortests an der Erprobung eines neuen Fragebogens (QS) zu beteiligen.

Der Aufruf wurde über berufspolitische Kanäle verbreitet und findet sich im Original hier auf der Seite des IQTIG-Instituts: https://iqtig.org/dateien/datenerfassung/befragungen/2020-05-11-IQTIG_Aufruf_Standard-Pretest-Ambulante_PT.pdf

Siehe auch:

https://www.kbv.de/html/1150_46252.php

Die Befragung soll bis zum ersten Quartal 2021 erfolgen.

Den vollständigen Wegfall des Gutachterverfahrens und die zu erwartenden neuen Formen der Qualitätssicherung werden -auch wegen des möglichen Wegfalls der Vorab-Wirtschaftlichkeits-Prüfung- von großen Teilen der Psychotherapie mit Sorge gesehen.

Aber wie werden diese neuen QS-Formen aussehen? Nicht unwahrscheinlich sind Bögen, die psychometrische Daten der Patienten erfassen sollen, beispielsweise Symptomverlaufsbögen.

Die Frage inwieweit psychometrische Instrumente auf valide Weise Therapieerfolg und Therapieprozess erfassen, wird kontrovers diskutiert.

Auch die Akzeptanz solcher Instrumente ist unter den verschiedenen Psychotherapieverfahren unterschiedlich groß.

Wie kam es eigentlich zu dieser tiefgreifenden Änderung?

Die politischen Umstände, unter denen es zur Abschaffung des Gutachterverfahrens gekommen ist, wurden von berufspolitischer Seite kritisch diskutiert.

Es entstand der Eindruck, dass diese Abschaffung vom Gesetzgeber in einer „Nacht-und-Nebel-Aktion“ erfolgte. D.h. diese entscheidende Änderung zum Gutachterverfahren wurde wenige Tage vor Abstimmung des Gesetzes am 26.9.19 von der Koalition noch in den allerletzten Änderungsantrag der Regierungs-Koalition hineingeschrieben.

Es fand zu diesem Änderungspunkt, also der Abschaffung des Gutachterverfahrens- weder eine öffentliche Debatte noch eine Expertenanhörung im Bundestag statt. Dem Vernehmen nach wurden selbst die Bundestagsabgeordneten der anderen Fraktionen von diesem Änderungsantrag überrumpelt und konnten sich auf diesen Punkt teilweise nur 1 Tag vor der entscheidenden Ausschuss-Sitzungen vorbereiten. Die DGPT war der einzige therapeutische Verband, der wenige Tage vor Abstimmung über diesen Änderungspunkt zum Gutachterverfahren eine kritische Stellungnahme verfassen konnte, von denen nur sehr wenige erreicht wurden. Schließlich wurde das gesamte Gesetz (inkl. Abschaffung des Gutachterverfahrens) am Ende eines langen Plenar-Tages im Bundestag nach 23 Uhr mit den Stimmen der Regierungskoalitionsfraktionen und gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von FDP, Bündnis 90/Die Grünen und AfD angenommen.

Ging es bei dem Gesetzentwurf nicht ursprünglich um eine Verbesserung der Ausbildungs-Situation?

Ja. Das Reformgesetz hatte ursprünglich eine andere Zielrichtung gehabt; nämlich die Reform der Psychotherapieausbildung. D. h. es wurde mit der Abschaffung des Gutachterverfahrens etwas in ein Reformgesetz hineingeschrieben, was mit der eigentlichen Thematik und Zielsetzung des Reformgesetzes nichts zu tun hat. Solche Änderungen werden auch Omnibusgesetze oder Goldplating genannt: Man nutzt die Gunst der Stunde, dass gerade die Zeichen auf Änderung stehen, um noch etwas „hineinzuregeln“, was man sonst nicht hätte ändern können.

 

Zurück zum Gutachterverfahren/Bericht an den Gutachter:

Bis Ende 2022 wird das Gutachterverfahren weiter wie gehabt die Beantragung einer ambulanten Psychotherapie bestimmen.

Es ist ferner schon jetzt abzusehen, dass eine Umsetzung des neuen Gesetzesauftrages auf gesamter Ebene nicht ohne weiteres zu organisieren sein wird. Der Gesetzestext deutet an, dass die im Rahmen der Standarderhebung gewonnenen Daten aus den Behandlungen zur Messung von Behandlungsverläufen (vgl. QS) verwendet werden sollen.

Während dies aus technischer Hinsicht mit Blick auf die Praxisverwaltungssysteme keine große Hürde darzustellen scheint, ist jedoch in (berufs-) politischer und rechtlicher Hinsicht mit erheblichem Widerstand zu rechnen (Stichwort Datenschutzbedenken). Nicht auszuschließen ist ferner auch ein aktiver Widerstand seitens der Patienten/ der Bevölkerung. Die geplante Einführung der „gesteuerten Versorgung“ im Rahmen des TSVG hat einen hohen Protest ausgelöst, so dass das Gesetzesvorhaben zurückgezogen (und in anderer Form in das PsychThGAusbRefG eingebracht) wurde. Es ist nicht auszuschließen, dass eine hohe Anzahl an Patienten und Therapeuten einer Weitergabe von Daten aus ihren Behandlungen für QS widersprechen werden.

In der aktuellen fachwissenschaftlichen sowie berufspolitischen Reflexion des Reformgesetztes wird darüber hinaus empfohlen, dass in die Entwicklung der neuen Richtlinien gerade im Besonderen die Evaluations-Ergebnisse der Innovationsfonds-Forschungs-Projekte mit einfließen sollten.

Mit Blick auf diesen o.g. komplexer werdenden Hintergrund erscheint die Notwendigkeit umso größer, dem G-BA auch weitere Modelle der Qualitätssicherung (QS) anzubieten, die einerseits der QS-Anforderung gerecht werden, andererseits so gefasst sind, dass sie von Patienten und Leistungserbringern (Psychotherapeuten) auch adäquat in der Praxis angenommen werden.

Dem Begründungstext zum Gesetzesentwurf ist zu entnehmen, dass für die QS auch die bewährten Methoden von Intervision, Supervision und Qualitätszirkel berücksichtigt werden sollten.

Fazit: Es ist also vor dem Hintergrund der o.g. Ausführungen denkbar, dass die Umsetzung des neuen Gesetzesauftrages mit erheblichen Schwierigkeiten bzw. großen Anforderungen verbunden sein wird.

Unklar ist auch, wie sich die politischen und berufspolitischen Kräfte weiter formieren werden. Protest gegen diese Entscheidung wurde berufspolitisch formuliert und die gesetzliche Frist zur Umsetzung des neuen Modells sind recht eng gehalten.

D. h. die aktuelle Praxis des Gutachterverfahrens bleibt uns noch eine Weile erhalten, woraus nach wie vor für viele die Notwendigkeit für Fortbildung und Hilfen im Umgang mit dem Gutachterverfahren und dem Bericht an den Gutachter erwächst.

Nutzen Sie in jedem Falle die Kanäle Ihres Berufsverbandes, um sich sowohl über den weiteren Verlauf der Entwicklungen regelmäßig zu informieren, als auch um ihre eigenen Interesse zu kommunizieren. In der untenstehenden Link-Sammlung finden Sie entsprechende Artikel zum kostenlosen Download rund um die Reform der Richtlinien.

Dr. Dipl.-Psych. Ingo Jungclaussen.

www.psy-dak.de

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Artikel zur Reform der PT-Richtlinie 2019/2020 zum Download/ Link-Sammlung Report Psychologie:

  • Jungclaussen, I., Hauten, L. & Jonas, M. (2020). ,Es entsteht ein Zwei-Klassen-System.‘ Tim-Can Werning zur Reform der Psychotherapieausbildung, Interview 3, Report Psychologie, 45 (9), 11-13.  Download Hier
  • Hauten, L. & Jungclaussen, I. (2020). Fluch oder Segen? Pro und Kontra zur Abschaffung des Gutachterverfahrens. Report Psychologie. 7. 26-29. Hier
  • Jungclaussen, I., Jonas, M., Hauten, L. (2020). ,Berufspolitisch ist noch einiges zu tun’ – Inge Neiser und Dr. Johanna Thünker zur Reform der Psychotherapieausbildung. Interview, Report Psychologie. 6. 30-33. Hier
  • Jungclaussen, I., Jonas, M., Hauten, L. (2020). ,Es gibt jetzt eine Chance’ – Dr. Cord Benecke zur Reform der Psychotherapieausbildung. Interview, Report Psychologie. 4. 28-30. Hier
  • Jungclaussen, I. & Jonas, M. (2020). Das Direktstudium kommt – was nun? Die Folgen des Psychotherapieausbildungsreformgesetzes« waren Thema eines Symposiums für Studierende am 25. Januar 2020 in der Fachhochschule des Mittelstands (FHM) Köln. Symposiums-Bericht.  Report Psychologie. 4. 26. Hier

 

Die Gesamtübersicht meiner Publikationen zu verwandten Themen dieser Art findet sich hier

 

Links/ Buchtipps zur Vertiefung Thema Gutachterverfahren im Allg.:

Jungclaussen (2018). Handbuch Psychotherapieantrag- Psychoanalytische Theorie und Ätiologie, PT-Richtlinie, Psychodynamik, Psychogenetische Konflikttabelle, Fallbeispiele. Stuttgart: Schattauer Verlag.

Hilfreiche Übersichts-Seite zum Bericht an den Gutachter von Dunja Voss (Links zu verwandten Themen, Erläuterungen, Literatur-Tipps uvm.) hier

Lieberz (2018): https://www.aerzteblatt.de/archiv/200269/Reformen-in-der-Psychotherapie-Quantitaet-statt-Qualitaet

Beutel. M. et al (2020). Psychodynamische Psychotherapie.

Ab. S. 102 f hier

http://www.sabineschaefer.com/fileadmin/user_upload/Artikel_S.Schaefer/PA_2-2010_GAV_Schaefer_ms.pdf

Weitere Büchertipps zum Thema Gutachterverfahren finden Sie auf meiner Literatur-Empfehlungsseite hier

 

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  • Gutachterverfahren, Bericht an den Gutachter, Umwandlungsbericht, Gutachter
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  • Psychotherapie

 

 

 

 

Den Bericht einmal anders denken – Ein Plädoyer

Der Bericht an den Gutachter- Chance und Potenzial zur Reflexion und Therapieplanung

M. E. geht es nicht nur darum, den Antragsbericht als Bewilligungsakt so schnell es geht vom Schreibtisch zu bekommen, sondern auch darum, wie man die Aufforderung zur strukturierten Auseinandersetzung mit den Patienten für sich und die Therapieplanung sinnvoll als Chance nutzen kann.

Ich möchte sowohl durch meine Fortbildungsseminare (www.psy-dak.de) als auch anhand meines Handbuches Psychotherapieantrag hervorheben, dass es sich bei der Auseinandersetzung mit dem Antragsbericht um eine Chance handelt, um zu einem vertieften Verständnis des Patienten zu gelangen. Über den systematisch strukturierten und selbstreflektorischen Zugang, den der Antragsbericht von uns verlangt, entsteht ein geschärfter und erweiterter diagnostischer Zugang zum Patienten, der eine bessere Behandlungsplanung ermöglicht.

Dennoch ist mir aus meiner beruflichen Erfahrung auch vertraut, dass die positive Funktion der schriftlichen Fallreflexion im Rahmen der Antragsstellung oft durch individuelle Hürden und eine sehr lange Bearbeitungszeit sowie geringe Vergütung erschwert wird. So fühlen sich z. B. viele Therapeuten mit ihren Schwierigkeiten allein gelassen und von Kollegen, Dozenten oder Supervisoren belächelt, die anscheinend leichter und schneller Anträge schreiben können. Insgesamt ist das Thema »Schwierigkeiten im Berichteschreiben« stark schambesetzt. Viele benötigen einfach eine gezieltere Hilfe und eine gute Didaktik. Allerdings wird dies nicht nur in der (Antrags-)Literatur, sondern auch in der psychotherapeutischen Fort-, Aus- und Weiterbildung oft vernachlässigt. So ist m. E. zu begrüßen, dass inzwischen ein effizientes und didaktisiertes Berichteschreiben, so wie es im Rahmen meines Ansatzes leitfadengestützt vermittelt wird, bei immer mehr Ausbildungsinstituten zur Anwendung kommt.

Dr. Dipl.-Psych. Ingo Jungclaussen.

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